Bundesbildungsministerin Wanka zu Gast bei der KAUSA Servicestelle Essen
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Prof. Dr. Johanna Wanka besuchte am 4. Mai 2017 im Rahmen ihrer Frühjahrsreise 2017 die KAUSA Servicestelle Essen, die beim Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung angesiedelt ist. Dort lernte sie die Angebote der KAUSA Servicestelle Essen (KSE), die Projektmitarbeiter*innen und ihre Partner*innen vor Ort kennen.
„Die KAUSA Servicestelle Essen ist aus unserer Sicht ein Projekt, das nicht nur Essener Jugendlichen und Betrieben zugutekommen soll und zugutekommt, sondern auch ein Innovationslabor, das bedarfsorientierte Instrumente und Maßnahmen entwickelt, die von anderen Gemeinden und Institutionen übernommen werden können“, sagte Wolfram Kuschke, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) in seiner Begrüßungsrede. Das ZfTI sei seit Jahrzehnten ein Beobachter und Mitgestalter der Zuwanderergesellschaft und verstehe sich als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis.
Ministerin Wanka wurde im Namen der Stadt Essen von Peter Renzel, Beigeordneter für die Fachbereiche Jugend, Bildung, Gesundheit, Arbeit und Soziales der Stadt Essen, begrüßt. „Für junge Menschen ist eine Ausbildung der beste Weg für die berufliche und gesellschaftliche Integration und in die finanzielle Unabhängigkeit von Transferleistungen“, sagte Renzel. Im Jahr 2016 habe das kommunale Jobcenter u.a. in Zusammenarbeit mit der KSE 63 junge Geflüchtete in Ausbildung vermittelt. Nur dank der wertvollen Arbeit und Unterstützung der KSE durch authentische Ansprache der Geflüchteten in ihrer Muttersprache und mehrsprachige Informationsarbeit über das unbekannte duale Ausbildungssystem in Deutschland seien die Beratungs- und Vermittlungsangebote möglich.
In ihrer Begrüßungsrede unterstrich Ministerin Wanka die Bedeutung der dualen Ausbildung und der Qualifizierung als Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Sie betonte die Wichtigkeit der stärkeren Gewinnung von Frauen mit Migrationshintergrund für eine Ausbildung, die vor allem durch eine frühzeitige, individuelle und präventive Beratung, wie sie die KAUSA Servicestelle Essen anbietet, gelingen kann.
„In die Zukunft investieren“
Ein Viertel der knapp 600.000 Einwohner*innen in Essen sind entweder Doppelstaatler*innen oder Besitzer*innen eines ausländischen Passes. Ein Drittel davon (rund 55.000 Personen) ist jünger als 25 Jahre. Außerdem leben mehr als 20.000 geflüchtete Menschen im Essener Stadtgebiet. „Um die erlebte Vielfalt in der Region für die Zukunft zu gestalten, muss man in die Teilhabechancen der jungen Migrant*innen und Geflüchteten investieren. Genau das machen wir als KAUSA Servicestelle Essen“, sagte KSE-Leiter Cem Şentürk während seiner Präsentation über die Ausbildungssituation in Essen und die Aktivitäten der KSE. Bei der Erstellung des Arbeitsprogramms habe die KSE drei Faktoren berücksichtigt: die regionalen Bedürfnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Hürden der Migrant*innen im Ausbildungskontext sowie die trägerspezifischen Ressourcen und Erfahrungen des ZfTI. Während die regionalen Bedürfnisse die Vorgehensweise bestimmten, wirkten die wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Entwicklung der Veranstaltungs- und Beratungsformate, die trägereigenen Ressourcen nehmen inhaltlich Einfluss auf die Prozesse, die von der KSE entwickelt wurden. Die KSE hat in den letzten zwei Jahren erfolgreiche Konzepte zur Ansprache und Unterstützung von Migrant*innen und Geflüchteten entwickelt. Dazu zählen die „Lange Nacht der interkulturellen Berufsberatung“, der „Interkulturelle Wirtschaftstag Ruhr“, die interkulturelle Berufs- und Ausbildungsmesse „Auf zu neuen Wegen!“ und die Fortbildungsreihe für Fachkräfte „Verschieden oder doch gleich“. Seit Januar 2015 hat die KAUSA Servicestelle rund 120 Veranstaltungen durchgeführt und dadurch mehr als 4500 Personen erreicht, mehr als die Hälfte davon sind junge Geflüchtete, die die KSE seit März 2016 betreut.
Nach den Begrüßungsreden und der Präsentation der Arbeit der KSE führte die Ministerin Gespräche mit Jugendlichen mit Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte sowie mit Vertreter*innen migrantischer Unternehmen und ausbildungsrelevanter Institutionen. Die Gespräche wurden vom ZfTI-Programmleiter Yunus Ulusoy moderiert. Themen waren „Verstehen und Verstanden werden: Interkulturelle Information, Beratung, Vermittlung“, „Junge Frauen für die Ausbildung gewinnen“ und „6.000 Selbständige mit Migrationshintergrund in Essen: Potenziale der migrantischen Betriebe für Ausbildung“.
Informationsarbeit der KSE ist Überzeugungsarbeit
Zum Thema „Verstehen und Verstanden werden: Interkulturelle Information, Beratung, Vermittlung“ berichtete KSE-Experte Mousa Othman über die Arbeit der KSE. Seit März 2016 hat die KSE mehr als 450 Geflüchtete persönlich rund um das Thema „duale Ausbildung“ beraten. Außerdem nahmen seit Projektbeginn mehr als 120 Migrant*innen das Beratungsangebot der KSE in Anspruch. Aufgrund der geringen Kenntnisse insbesondere Geflüchteter über das Bildungs- und Ausbildungssystem in Deutschland sei ein muttersprachlicher Ansatz erforderlich, um möglichst frühzeitig über die Zukunftswege zu informieren. Die KSE leiste an dieser Stelle nicht nur Informations-, sondern auch Überzeugungsarbeit. Dies bestätigten zwei von der KSE in Ausbildung vermittelte Geflüchtete, die von ihren Erfahrungen und der wichtigen Orientierungshilfe durch die KSE berichteten. KAUSA-Seniorexperte Herbert Lindner und der von ihm betreute junge Geflüchtete beschrieben Ihre positiven Eindrücke des von der KSE ermöglichten Begleitungsprozesses.
Ministerin Wanka thematisierte in diesem Kontext das Problem der ungleichen Verteilung von Angebot und Nachfrage im Ausbildungsbereich im Bundesgebiet und die notwendige Mobilität von jungen Menschen, um Chancen auch außerhalb ihres Wohnortes zu ergreifen. Insbesondere bestünde in ostdeutschen Bundesländern eine hohe Nachfrage nach ausbildungswilligen Jugendlichen und Geflüchteten, die offenbar häufig aufgrund der mangelnden Bereitschaft von Jugendlichen, einen Wohnortwechsel in Kauf zu nehmen, nicht gedeckt werden könnte. Lücken bestünden auch in bestimmten Handwerksberufen, zahlreiche Handwerksbetriebe fänden keine geeigneten Bewerber*innen. Die Mobilitätsbereitschaft, wie sie die erste Generation der Gastarbeiter und die Geflüchteten bei ihrem Aufbruch aus ihren Herkunftsländern an den Tag legten, sei eine bewahrungswerte Eigenschaft, die es zu fördern gelte. Diskutiert wurde auch das Problem, dass junge Migrant*innen mit schwierigen Bildungsbiografien über eine schriftliche Bewerbung kaum Chancen hätten, einen Ausbildungsberuf zu erhalten. Daher sei es aus Sicht der KSE von Nöten, eine interkulturelle und empathische Begleitung der Jugendlichen zu organisieren, um sie dazu zu bewegen, ihre eigene Lebens- und Bildungssituation selbstkritisch zu betrachten sowie Verantwortungs- und Veränderungsbereitschaft zu entfalten. Mit diesem Bewusstsein entwickeln die KSE-Mitarbeiter*innen mit den Jugendlichen gemeinsam Bewerbungs- und Kommunikationsstrategien, um sie zu motivieren, aktiv auf Betriebe zuzugehen und eigene Potenziale und Motivationen zu erklären. Ein solcher Ansatz spreche die Stärken an, aktiviere die Fähigkeit der Jugendlichen und hole sie aus einer Opfermentalität heraus. Zugleich setze strukturelle Integration einen diskriminierungsfreien Zugang zu Ressourcen, so z.B. im Bereich Bildung und Ausbildung, voraus. Die KSE-Instrumente wie die Interkulturelle Berufs- und Ausbildungsmesse „Auf zu neuen Wegen!“ oder „Lange Nacht der interkulturellen Berufsberatung“ seien solche Instrumente, die den Zugang zur dualen Ausbildung über Beratungs- oder Matchingprozesse befördern können.
Frauen für Ausbildung gewinnen
Zum Thema „Junge Frauen für die Ausbildung gewinnen“ führte Ministerin Wanka Impulsgespräche mit der KSE-Expertin Gülay Kızılocak sowie mit von der KSE begleiteten jungen Frauen. Kızılocak sagte, dass die Gewinnung von Frauen für die Ausbildung eine wichtige Aufgabe sei, da ihre Ausbildungsbeteiligung durch besondere Hürden, die auch kulturell-familiär bedingt sein könnten, begrenzt werde. Zudem seien Frauen in südländischen Kulturen für die Erziehung und Bildung der Kinder oft besonders sensibilisiert, weshalb sie sich für den Bildungs- und Ausbildungsprozess ihrer Kinder stärker als die Väter engagieren würden. Daher setze die KSE einen besonderen Fokus auf die Gewinnung der Mütter für die Elternarbeit. Die KSE gewinne und qualifiziere ehrenamtlich tätige Frauen als Bildungsbegleiterinnen in den Migrantenorganisationen, die in ihrem Umfeld erste Informationen über die Perspektiven der dualen Ausbildung geben und über die Beratungsmöglichkeiten in Essen (u.a. der KSE) informieren können. Rund 60 % der bei der KSE ratsuchenden Migrant*innen seien Frauen, bei Geflüchteten liege der Anteil bei 20 %, ein relativ hoher Anteil vor dem Hintergrund der männlich dominierten Geschlechterzusammensetzung der Neuzugewanderten, erklärte Gülay Kızılocak.
An den Beispielen der türkeistämmigen Gesprächspartnerinnen, die bei der Ausbildungsplatzsuche und während ihrer Ausbildung von der KSE begleitet werden, wurde deutlich, dass viele migrantische Jugendliche aufgrund mangelnder Sprach- oder Informationskompetenz im Elternhaus auf dem Weg zur dualen Ausbildung keine ausreichende Unterstützung erfahren. Hier setze die interkulturelle Beratungskompetenz der KSE an, die sowohl die familiäre und kulturelle Situation berücksichtige als auch die jungen Frauen darin stärke, die eigenen Ausbildungswünsche aktiv im familiären Umfeld zu vertreten. Die KSE beziehe in diesem Prozess die Bildungsbegleiterinnen und vor allem die Eltern ein und stärke die Bewerbungs- und Kommunikationskompetenz der ausbildungsplatzsuchenden jungen Migrantinnen u.a. mit der Optimierung der Bewerbungsmappe und einem Bewerbungstraining. Bei geflüchteten jungen Frauen (und auch Männern) mit Hochschulstudium, die von einer Gesprächspartnerin aus Syrien repräsentiert wurden, sei die duale Ausbildung ein Sprungbrett in die berufliche Integration und Weiterentwicklung, die auch den Weg für ein nachgelagertes Studium ebnen kann.
Mehr Förderung erwünscht
Zum Themenbereich „6.000 Selbständige mit Migrationshintergrund in Essen: Potenziale der migrantischen Betriebe für Ausbildung“ sprachen KSE-Experte Abdulkader Sadek und Bora Şahin, Co-Vorsitzender des interkulturellen Unternehmer- und Akademikervereins IKUA, mit der Ministerin. Abdulkader Sadek stellte die Konzepte der KSE zur Ansprache der Betriebe vor. Bora Şahin schilderte die Situation der interkulturellen Betriebe bezüglich des Ausbildungsmarktes. Er wünsche sich mehr Unterstützung und finanzielle Fördermöglichkeiten für die migrantischen Betriebe, die Ausbildungsplätze schaffen sollen. Franz Roggemann, Geschäftsführer des Aus- und Weiterbildungsbereichs bei der IHK zu Essen, lobte die gute Zusammenarbeit mit der KSE und hob zwei Konzepte, die Lange Nacht der interkulturellen Berufsberatung und den Interkulturellen Wirtschaftstag hervor, bei denen die IHK zu Essen mitwirkt. Es wurde kontrovers darüber diskutiert, ob die Ausbildereignungsprüfung gemäß AEVO aufgrund des Flüchtlingszuzugs gelockert werden könnte. Ministerin Wanka erteilte solchen Forderungen eine Absage, da das duale Ausbildungssystem von seiner Qualität lebe und es deshalb keine Abstriche bei der persönlichen, fachlichen und betrieblichen Eignung geben dürfe, auch um zu verhindern, Auszubildende erster und zweiter Klasse zu schaffen. Möglich seien aus ihrer Sicht spezielle Kurse für die AEVO-Prüfung, die den Besonderheiten der migrantischen Betriebe Rechnung tragen könnten. Solche Ideen sind auch Gegenstand der Gespräche im KSE-Beirat.
Mobilität ist gefragt
Ministerin Wanka wies in ihrem Schlusswort auf die bestehenden vielfältigen Instrumente zur Förderung von Betrieben und Jugendlichen hin und wünschte sich eine bessere Inanspruchnahme. Nach dem Motto „Fördern und Fordern“ erwarte sie von Migrant*innen und Geflüchteten stärkere Integrationsleistungen. Diesbezüglich sei eine höhere Mobilität dieser Personengruppen gefragt, vor allem mit Blick auf unterschiedliche Ausbildungssituationen in verschiedenen Regionen.
Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan, wissenschaftlicher Leiter des ZfTI, zog zum Abschluss eine Bilanz des Tages und bedankte sich beim KSE-Team für die engagierte Arbeit.
Die KAUSA Servicestelle Essen ist eine der bundesweit 31 Servicestellen, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds im Rahmen des Jobstarter-Plus-Programms gefördert wird. KAUSA steht für die Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration, die beim Bundesinstitut für Berufsbildung angesiedelt ist. Das Ziel der KAUSA Servicestellen ist es, die Beteiligung der migrantengeführten Betriebe und Menschen mit Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte an der dualen Ausbildung zu erhöhen.
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